Mittwoch, 1. Januar 2020

In den Ozean geschmissen


Das Schicksal eines Menschen in Augsburg




Das vergangene Jahrzehnt war für mich hauptsächlich negativ. Zu Beginn litt ich noch an den Spätfolgen einer gescheiterten Geschäftsgründung, die mich, oder besser gesagt, hauptsächlich meine Eltern, eine fünfstellige Summe kostete.

Aufgrund einer bösartigen Verleumdung an der richtigen Stelle und zur richtigen Zeit (Sommermärchen), und natürlich aufgrund meiner Unerfahrenheit, Zögerlichkeit in dieser Art Geschäft, und meiner generell geringen Eignung zum Unternehmer (zu nett) ging letztlich alles in die Binsen. Der Relaunch scheiterte am neuen Programmierer, der vollmundig viel versprach, aber dann nichts davon hielt. Die Nerven lagen 2010 zwar nicht mehr blank, aber Gras war auch noch nicht über die Sache gewachsen. Ich arbeitete als Freelancer im Journalismus, Gun for Hire sozusagen. Die Einnahmen kamen nicht mal ansatzweise dem nahe, was man bräuchte, um einen Rentenanspruch aufzubauen.

Meine gutmütigen, liebevollen, aber auch streitbaren Eltern ließen mich natürlich nicht hängen, und so hoffte ich, bald eine neue, bessere Zukunft aufbauen zu können.

Dem sollte nicht so sein, denn 2013 starb mein Vater in seinem Zuhause in Irland. Fiel tot um, am 3. Juli nach dem Duschen, und war nicht mehr. Ich erhielt den Anruf auf dem Parkplatz vom Aldi, als ich gerade einkaufen war. Ab diesem Moment war mein Leben, und das meiner Mutter sowie das meines Bruders nicht mehr dasselbe. Wir sorgten für alles Notwedige, brachten seine Katze Topsy nach Neubiberg und alles, aber ich war innerlich am Ende. Ich hatte eine Art seelischen Infarkt erlitten, könnte man sagen, denn ich konnte unter diesen Umständen nicht ins Kino gehen und fröhlich Filmkritiken schreiben. Auch hätte sich Harrison Ford mir gegenüber an den Tisch setzen können, ich hätte seinen Namen nicht gewusst.

Das war wirklich ein bezeichnendes Erlebnis, die wichtig und unwichtig ins rechte Licht rückte.
Wie manche wissen, starb zwei Jahre später meine Mutter. Sie hatte natürlich auch massiv unter dem Tod meines Vaters, der Liebe ihres Lebens, gelitten und sich letztlich wohl aufgegeben. Wir konnten nichts tun als es hinzunehmen. Alles, was wir versuchten, war zum Scheitern verurteilt. Es war eine seelische Tortur für alle Beteiligten, und unfassbar kräftezehrend.

Nachdem meine Mutter im Beisein meins Bruders und mir am 13. Oktober 2015 im Krankenhaus dahingegangen war, fühlte ich mich wie gerädert, in den Ozean geschmissen und im letzten Moment nackt und wund vom rauhen, kalten Meer an einem steinigen Ufer einer kargen kleinen Insel im Nirgendwo bewusstlos ausgekotzt. Quasi Neustart Deluxe.

Nach wenigen Monaten fand ich eine Stelle als Redakteur bei der Film & TV Kameramann, der renommiertesten Fachzeitschrift für professionelle Filmarbeit im deutschsprachigen Raum. Der Ritterschlag! Wie hätten sich meine Eltern gefreut!

Während ich in der neuen Stelle, die mit sehr viel Arbeit verbunden war (55-Stunden-Woche war nicht unüblich, das Heft musste ja voll werden), aufzugehen versuchte, und dafür auch 10 Tage im Monat in Köln verbrachte, was Topsy zuhause dazu nutzte, fast alle Verbote zu ignorieren, wurde ich aus dem schönen alten Haus geklagt, in dem ich aufgewachsen bin. Die Vermieterin hatte meiner Mutter und mir gekündigt, nachdem mein Vater gestorben war, wir hatten uns wegen der Gebrechlichkeit meiner Mutter gewehrt. Sie starb am Tag vor dem Gerichtstermin nach 10 ½ Wochen in der Intensivstation. Als der vertagte Prozess stattfand, verlor ich natürlich, und in der Revision ebenfalls. Ich musste schnell ausziehen, und das nach 35 Jahren in meinem Zuhause.

Wieder einmal wurde ich an neue Gestade gespuckt, diesmal aber auf Sand und bei Bewusstsein, nach Augsburg. Allerdings keine unbekannte Stadt für mich, beide Elternteile waren Augsburger, und die Großeltern haben wir hier auch immer besucht.

Die nächste Überraschung wartete am Nikolaustag 2017 auf mich, als ich völlig überraschend entlassen wurde. Ich hatte noch Schokonikoläuse verteilt am Morgen. Mein Chef, jünger als ich, hatte mich in der Redaktion den ganzen Tag noch Feuerwehr spielen lassen, und als mich dann auf den Feierabend freute (eigentlich sollte ich noch ein Interview mit jemandem machen), nahm er mich beiseite und teilte mir mit, dass er meinen Vertrag von nun an "auf freiberuflich umstellen" würde. Ich fiel aus allen Wolken, da er mir auch stets gesagt hatte "mach Dir keine Sorgen, Du bist hier bis zur Rente" und "Wenn Du jemals gehen musst, haben die am selben Tag noch meine Kündigung auf dem Tisch".

Tja, Pustekuchen. Er hat natürlich selbst nicht gekündigt, sondern er war es, der mich eingespart hat. Natürlich habe ich daraufhin mit ihm gebrochen. Wir waren befreundet gewesen, und er hatte nicht zuletzt dank meiner Hilfe Fuß im Journalismus fassen können. So kann man sich täuschen.

Nach einer Phase der Arbeitslosigkeit (Selbständigkeit beim Verlag ging nicht in nennenswertem Umfang, wegen Scheinselbständigkeit, hätte man ja mal vorher nachschlagen können) fand ich dann eine Stelle als Content Manager. Ein schöner Job, die Bezahlung stimmt ebenso wie die Stunden, aber ich musste dafür den hauptberuflichen Journalismus verlassen, sitze nun in der freien Wirtschaft. Dies ist leider auch nicht, was ich mir erhofft hatte vom Leben.

Ansonsten war das Jahrzehnt ereignislos. Ich nahm an Gewicht zu (nachvollziehbarerweise), blieb alleine und ungeküsst.

Hier in Augsburg bin ich gut angekommen, ich freue mich über meine neue Heimat (meiner Vorfahren), über die netten Menschen, die ich kennenlernen durfte oder die ich schon kannte und zu denen ich nun mehr Kontakt habe, und über mein neues Leben mit Topsy. Die ist schon 12 und wird das Ende des kommenden Jahrzehnts wohl eher nicht erleben, so sehr ich ihr das auch wünsche. Mal sehen, ob ich eine Trendwende einläuten und ein paar der Mängel in meinem Leben beseitigen kann.
Ich sehe durch diese Erfahrungen deutlicher denn je, dass viele Leute um mich herum ihre eigenen Päckchen zu tragen haben, und damit auch teilweise ganz schön am Kämpfen sind.

Ich wünsche uns allen, die das ausgehende Jahrzehnt überlebt haben, daher ein gutes, friedliches neues Jahrzehnt. Mein Aufruf: Lasst uns die Kurve kriegen in puncto Klima, Umwelt und gegen Rechts. Es gibt wirklich nichts wichtigeres als die Umwelt, und gleich danach den Kampf gegen Rechts.

Einen guten Rutsch Euch allen, und allen alles Gute für 2020!

J.R.

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