Dienstag, 6. Januar 2015

Sensations-Interview mit Walther Seinsch über Politik, Religion, Fußball und Liebe: Enttäuschungen, Frustrationen, Wut und Mordgedanken - aber auch gerettete Ehe, gemeinsames Singen und Besäufnis

  "Verbrecher-Kartei", das neue Buch von Walther Seinsch.

"Die ersten beiden Jahre ohne Job  waren hart"



Ein spannendes Gespräch mit Walther Seinsch, dem ehemaligen Unternehmer, FCA-Präsidenten und zukünftigen Ehrenbürger von Augsburg zu seinem neuen Buch "Verbrecher-Kartei – Über Banker, Manager und Politiker". 


 Walther Seinsch spricht auch über ausgefallene Themen.

ASZ-Frage: Herr Seinsch, Sie sind vor rund 15 Jahren aus den umstrittenen Billigpreisfirmen für Textilien, KiK und Takko, ausgestiegen und haben Ihre Anteile von 15 % an Tengelmann verkauft. Warum haben Sie sich mit den erhaltenen Millionen nicht einfach zur Ruhe gesetzt und sind Ihrem privaten Vergnügen nachgegangen?

Walther Seinsch: Immerhin hatte ich 150 Berufsjahre hinter mir, wenn man meine gearbeiteten Stunden auf eine 35-Stunden-Woche herunterbricht. Ich wollte nach meiner Verrentung nur noch lesen, segeln und das Leben genießen. Wobei ich zugeben muss, dass die ersten beiden Jahre ohne Job hart waren.

ASZ-Frage: Sie haben sich dann im Jahr 2000 den Fußballklub FCAugsburg in der Textilstadt zwischen Lech und Wertach ausgesucht, um wieder aktiv zu werden. Warum?

Walther Seinsch: Es ist kein Gag, dass der FCA meine Ehe und damit das Wichtigste in meinem Leben gerettet hat, aber ich bin meiner Frau bis hin zu den Lebensmitteleinkäufen so auf den Wecker gegangen, dass sie mich fast zum Teufel gejagt hätte.

ASZ-Frage: Wie war Ihr Einstieg beim FCA, der damals noch in der Bayernliga dümpelte?

Walther Seinsch: Meine psychische Verfassung war wegen Gewalterfahrungen in meiner Kindheit und wegen extremen Belastungen während eines über 40-järhigen Berufslebens angeknackt, was mir aber im Jahre 2000, als ich beim FCA anfing, nicht so bewusst war.

ASZ-Frage: Was waren Ihre erste Erfahrungen beim FCA?

Walther Seinsch: Es liegt auf der Hand, dass die Arbeit beim FCA mit vielen Enttäuschungen, Frustrationen, mit Wut und Mordgedanken einherging.

ASZ-Frage: Sie haben aber nicht aufgegeben und den FCAugsburg in die Erste Bundesliga geführt.

Walther Seinsch: Meine frühe Erkenntnis war richtig: Wo ein für die Bundesliga geeignetes Stadion steht, dort spielt früher oder später auch ein Bundesligist.

ASZ-Frage: Nun steht sogar, auch durch Ihr Engagement, ein neues Fußballstadion, die SGL-Arena, im Süden von Augsburg. Positive Erlebnisse beim FCA?

Walther Seinsch: Der FCA hat viele Menacher glücklich gemacht, Arme und Reiche, Rentner und Kinder, Familien, Rollifahrer, Blinde, Frauen und Männer, Leute aus vielen Nationen, Gottlose, Muslime, Juden und Christen. Ich habe viele wunderbare Briefe bekommen und nur ganz wenige hässliche. Bis zu meinem letzten Atemzug werde ich viel Schönes aus meiner FCA-Zeit nicht vergessen: Besäufnisse, gemeinsames Singen nach schrecklichen Niederlagen, attraktive Damen, die mich angehimmelt haben ...



ASZ-Frage: Sie sind ja letztes Jahr als FCA-Vorstand zurückgetreten. Der FCA stand ganz hoch in der Bundesliga, der Verein machte zwei Millionen Gewinn, Wieso also Ihr Rücktritt?

Walther Seinsch: Ich bin doch ein alter Sack. Es gab keinen besseren Zeitpunkt für mich, mein Amt niederzulegen. Außerdem muss ich an meine Gesundheit denken.

ASZ-Frage: Was sagen Sie zu dem Augsbürger an sich? Sie wurden ja in Augsburg sogar als Stadtrat gewählt.

"Lernt Euch selber kennen"

Walther Seinsch: Das besondere an den bayerischen Schwaben ist, dass die große Mehrzahl herzensgute und solidarische Menschen sind, dass aber viele sich nicht für herzensgut und solidarisch halten. Ich kann nur dazu raten Euch selber kennenzulernen!

ASZ-Frage: Wir Versuchens. Noch ein grundsätzliches Wort von Ihnen zum Fußball?

Walther Seinsch: Kein Kind, das ab dem sechsten Lebensjahr für zehn Jahre Mannschaftssport betreibt, wird beruflich oder persönlich scheitern. Alles lernen die Kinder hier:Disziplin, Siege, Verlieren, Respekt, der Starke beschützt den Schwachen.

ASZ-Frage: Sie beschreiben in Ihrem Buch "Verbrecherkartei" als Nicht-Wissenschaftler die Welt der Wirtschaft, der Finanzen, der Politik und der Geschichte. Das interessiert uns. Wie ist Ihre Meinung zur Finanz- und Eurokrise?

"Kriminelle aus dem Finanzbereich werden uns begegnen"

Walther Seinsch: Wie jede große Krise hat auch diese, von der USA ausgehende, etwas Gutes. Die meisten Schuldigen werden bestraft, Gesetze werden geändert, nicht wenige Banker wandern in den Knast. Natürlich ist damit nicht für alle Zeiten ausgeschlossen, dass sich große Betrügereien ereignen. Kriminelle aus dem Finanzbereich werden uns auch in Zukunft begegnen. Die internationale Steuerflucht wird ins Fadenkreuz der Staatsanwälte geraten.

ASZ-Frage: Sie schlagen ja in Ihrem Buch nicht schlecht auf die sogenannten Wirtschaftsexperten ein.

Walther Seinsch: Keiner dieser Finanzexperten, Professoren und Ökonomen hat diese Finanzkrise auch nur geahnt. Das gilt auch für viele andere Krisen.  



ASZ-Frage: Wie kam es dazu?

Walther Seinsch: Wir erlebten in den letzten fünf Jahren eine groteske Ansammlung von Hysterie, Ignoranz, absurde Prognosen und unverantwortliche Panikmache.

ASZ-Frage: Waren auch die Medien daran beteiligt?

Walther Seinsch: Hemmungslos wurden und werden Emotionen geschürt, absurde Vergleiche mit 1929 gezogen, Lügen verbreitet und sinnvolle, gemeinsame Entscheidungen der EU-Länder zur Bankenregulierung, zu schmerzvollen Reformauflagen für die Problemländer negativ kommentiert.

ASZ-Frage: Die Bundeskanzlerin, Angela Merkel, wird aus dem In- und Ausland heftigst kritisiert. Ist das in Ordnung?

"Habe Frauen in der Politik nichts zugetraut"

Walther Seinsch: Politiker-Bashing ist immer und überall Marketing-Instrument Nr. Eins. Egal was Merkel macht, es ist immer falsch. Für mich ist  Angela Merkel eine Realpolitikerin durch und durch. Ich war ja mal ein Gerhard-Schröder-Fan und habe in jenen Jahren Frauen in der Politik nichts zugetraut. Die Politiker aus der DDR waren mir suspekt. Aber Merkel hat alle Qualitäten, die man für den Job als Bundeskanzlerin braucht: Keine Profilneurose, zurückhaltendes sachliches Auftreten und Lernfähigkeit. Deutschland genießt durch sie weltweiten Respekt.



ASZ-Frage: Sie haben sich ja bei der Augsburger Wählervereinigung Pro Augsburg als Politiker versucht und sind sogar 2008 Stadtrat geworden. Aus gesundheitlichen Gründen haben Sie aber ihren Sitz als Stadtrat nach einigen Monaten zurückgegeben. Wie stehen Sie zur Politik, zu den Politikern?

Walther Seinsch: Ich bin deutscher Patriot, begeisterter Europäer und hoffnungsvoller Weltbürger und das bin ich aus emotionalen und aus materiellen Gründen. Ich möchte, dass meine Kinder, Enkel und deren Nachkommen ein gutes und sicheres Leben führen.

ASZ-Frage: Sie waren ja mal bei den Jusos, der voll linken Jugendorganisation der SPD. Hat sich das auf Ihr Leben ausgewirkt?

Walther Seinsch: Als Kind kam ich zu den Pfadfindern, zu den Wölflingen, der jüngsten Gruppe. Wir haben viele Fahrten mit dem Fahrrad unternommen und saßen abends am Lagerfeuer zusammen. Durch einen Zufall kam ich mit 15 zu den Jusos. Mein Freund behauptete, dort gäbe es Bier und Zigaretten gratis. Pfadfinder und Jusos haben meine anderen Belastungen aufgehoben, und damit verhindert, dass ich, wie zwei meiner Freunde, im Knast gelandet bin.

FCA-Krimi von Peter Garski: Rotgrünweiß macht heiß.

ASZ-Frage:  Wie ist ihre Meinung zur AfD, die gerade stark zunimmt?

Walther Seinsch: Die AfD hat zwei Ausrichtungen. Eine ist ökonomisch geprägt und erwartet die Rückkehr zur Deutschen Mark. Die andere ist nationalistisch und will die Stärken und Qualitäten der Deutschen nicht durch andere Nationen konterkarieren lassen, um es höflich auszudrücken. Ich aber meine zu Nationalismus: Ohne Nächstenliebe, ohne Hilfsbereitschaft, ohne Verständnis für die Not meines Nachbarns und eben auch für die Not meines Nachbarlandes bin ich kein Mensch. Ich hoffe nicht, dass sich die Neue Rechte in Deutschland oder Europa durchsetzen kann.

Augsburger Daschi-Monster rockt für FCA auf Youtube.

ASZ-Frage: Herr Seinsch, was sagen Sie zur Abschaffung des Euros?

Walther Seinsch: Egoistisch, materiell und ökonomisch ist die Abschaffung des Euro reiner Selbstmord. Die Globalisierung ist sowohl politisch als auch materiell ein Segen und die große Chance der Menschheit, in eine völlig neue Epoche ohne Kriege, ohne Hungersnöte, ohne aggressive Religionen und ohne Atomwaffen zu gehen.

ASZ-Frage: Aktuell wird ja viel geredet, diskutiert, gestritten und demonstriert wegen Islamismus, Christenverfolgung, dekadenten Bischöfen und pädophilen Priestern. Haben Sie dazu auch eine Meinung? Wie ist ihre Ansicht über Religion?

Walther Seinsch: Ich beneide jeden Menschen, der in seinem Glauben fest verankert ist.

"In all seiner Schönheit"

ASZ-Frage: Sind Sie das auch?

Walther Seinsch: Ich kann meinen Glauben am besten erklären, wenn ich Albert Einstein erwähne: Der Mensch ist ein Teil des Ganzen, das wir Universum nennen, ein in Raum und Zeit begrenzter Teil. Unser Ziel muss es sein, den Horizont unseres Mitgefühls zu erweitern, bis er alle lebenden Wesen und die gesamte Natur in all seiner Schönheit umfasst.

ASZ-Frage: Das könnte man auch auf die momentane Flüchtlings- und Asylanten-Debatte anwenden. Welche konkreten Erlebnisse haben Sie mit der Religion, mit der Kirche?

Walther Seinsch: Mit 14 bin ich getauft und dann konfirmiert worden und ich habe natürlich nichts verstanden, was der Pfarrer uns zu vermitteln versuchte. Weder die Glaubenssprache noch die Dogmen und die Gottes-Sohn-Schaft von Christus. Ich habe nur kurz an meinem Verstand gezweifelt, bevor ich erkannte, dass diese Verneblungen das Marketing-Konzept der Kirchen sind. 

ASZ-Frage:  Wie wirkt die Kirche auf Sie? Was verurteilen Sie?

Walther Seinsch: Über die menschlichen Irrungen und Sünden innerhalb der Kirche will ich nicht richten. Alle Menschen sind Sünder. Auch nicht über die höfische Organisation der Kirchen, das unsägliche Verbot von Verhütungsmitteln oder die Absurdität, dass Frauen nicht Priester sein dürfen – all dies beweist nur, dass der Papst eben kein Stellvertreter Gottes sein kann. Moralisch extrem verwerflich ist die Tatsache, dass große Teile der Priesterschaft im Dritten Reich mit den Nazis gekungelt haben, nicht gegen die

Ausrottung der Juden aufgestanden sind, oder den kommunistischen Terror wie in Jugoslawien begleitet haben.


ASZ-Frage: Sie sind irritiert, dass die christlichen Kirchen das Alte und das Neue Testament zur Grundlage ihrer Religion machen. Hat das einen Grund?

Walther Seinsch: Bei Samuel, zum Beispiel, steht im Alten Testament: Ergieße deinen Zorn über die Völker, die dich nicht kennen und die Reiche, die deinen Namen nicht anrufen. Töte Männer und Frauen, Kinder und Säuglinge ....

ASZ-Frage: Welche Religion ist Ihrer Ansicht nach die beste?

Walther Seinsch: Hm, schwierig, der Islam hat ja das Wort Gottes, die Juden sind ja das Volk Gottes, die Christen haben ja den Sohn Gottes. Welche Folgen das hatte, hat und haben wird, das wissen wir. Kein Mensch und keine Institution kann sich rühmen im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein. Über die nicht-christlichen Religionen weiß ich nicht viel. Was ich so lese und höre, macht mir keine Hoffnung auf eine gute Weltreligion.

"Folter und massenhafte Hinrichtungen"

ASZ-Frage: Hm, was hören und lesen Sie so?

Walther Seinsch: Naja, in der Welt der orthodoxen Rabbiner sollen Frauen zu Hause bleiben und Kinder gebären. In Israel werden auch Homosexuelle diskriminiert. Zum Islam erwähne ich die Iranerin und Trägerin des Friedensnobelpreises, Shirin Ebadi, sie berichtet von Tausenden Verhafteten der Protestbewegung, von Folter, massenhaften Hinrichtungen, Vergewaltigungen in den Gefängnissen.

ASZ-Frage: Was sagen Sie zu der momentanen Aufregung um Pegida und ihre Demos?

Walther Seinsch: Unwissenheit ist die Mutter des Misstrauens, der Feindseligkeit und der Angst.

ASZ-Frage: Zum Schluss ihres neuen Buches "Verbrecherkartei" zitieren sie auch den Augsburger Dichter Bert Brecht. Was steckt dahinter?


Walther Seinsch: Sie müssen es lesen! In diesem berührenden Brecht-Gedicht über zwei dahinfliegende Kraniche, denen auch Regen und Schüsse drohen, geht es um die Liebe, die uns allen einen Halt geben kann.

ASZ-Frage: Haben Sie noch Pläne, Ideen?

"Was soll ich anziehen?"

Walther Seinsch (schmunzelt): Ja, ich überlege nun nach der Veröffentlichung meines Buches, was ich zur Verleihung des Literatur-Nobelpreises anziehen soll.

 ASZ-Frage: Das FCA-Trikot?

Walther Seinsch (wieder ernst): Ich werde ein Projekt unter dem Titel "Weltbürger" starten. Für deutsche Patrioten, begeisterte Europäer und hoffnungsvolle Weltbürger. Zunächst als Blog www.weltbuerger.de – dabei positiv kritisch über Themen aus Politik und Wirtschaft und über unseren nationalen Bauchnabel hinausschauen ... vielleicht wird später mal ein Buch daraus?

ASZ-Frage: Och –nichts zum Thema Fußball?

Walther Seinsch: Unter der Rubrik "Fußball-Fetischisten" werden wir natürlich im Blog "Weltbürger" das drittwichtigste Thema unserer Welt kommentieren.  

ASZ: Uff – da sind war aber froh. Walther Seinsch ohne Fußball, das können wir uns in Augsburg nicht vorstellen.



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(Unser Sensations-Interview mit Walther Seinsch haben wir mithilfe einiger seiner Aussagen im lesenswerten Buch "Verbrecherkartei" zusammengebastelt.)

Walther Seinsch ging acht Jahre in die Schule, machte eine Lehre im steuerberatenden Beruf, war Bauarbeiter, Fabrikarbeiter, Substitut, Abteilungsleiter, Geschäftsführer und Minderheitengesellschafter der Firmen KiK und Takko bis 1997. Gründer der Stiftung "Erinnerung" in Lindau, seit dem Jahr 2000 Vorstandsvorsitzender des FC Augsburg.

- Das Buch "Verbrecherkartei", verfasst von Walther Seinsch ist 2014 im Gerhard Hess Verlag erschienen, hat 235 Seiten und kostet im Augsburger Buchhandel 18,90 Euro.

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