"Die ersten beiden Jahre ohne Job waren hart"
Ein spannendes Gespräch mit Walther Seinsch, dem ehemaligen
Unternehmer, FCA-Präsidenten und zukünftigen Ehrenbürger von Augsburg zu seinem
neuen Buch "Verbrecher-Kartei – Über Banker, Manager und Politiker".
Walther Seinsch spricht auch über ausgefallene Themen.
ASZ-Frage: Herr Seinsch, Sie sind vor rund 15 Jahren aus den
umstrittenen Billigpreisfirmen für Textilien, KiK und Takko, ausgestiegen und
haben Ihre Anteile von 15 % an Tengelmann verkauft. Warum haben Sie sich mit
den erhaltenen Millionen nicht einfach zur Ruhe gesetzt und sind Ihrem privaten
Vergnügen nachgegangen?
Walther Seinsch: Immerhin hatte ich 150 Berufsjahre hinter
mir, wenn man meine gearbeiteten Stunden auf eine 35-Stunden-Woche
herunterbricht. Ich wollte nach meiner Verrentung nur noch lesen, segeln und
das Leben genießen. Wobei ich zugeben muss, dass die ersten beiden Jahre ohne
Job hart waren.
ASZ-Frage: Sie haben sich dann im Jahr 2000 den Fußballklub
FCAugsburg in der Textilstadt zwischen Lech und Wertach ausgesucht, um wieder
aktiv zu werden. Warum?
Walther Seinsch: Es ist kein Gag, dass der FCA meine Ehe und
damit das Wichtigste in meinem Leben gerettet hat, aber ich bin meiner Frau bis
hin zu den Lebensmitteleinkäufen so auf den Wecker gegangen, dass sie mich fast
zum Teufel gejagt hätte.
ASZ-Frage: Wie war Ihr Einstieg beim FCA, der damals noch in
der Bayernliga dümpelte?
Walther Seinsch: Meine psychische Verfassung war wegen
Gewalterfahrungen in meiner Kindheit und wegen extremen Belastungen während
eines über 40-järhigen Berufslebens angeknackt, was mir aber im Jahre 2000, als
ich beim FCA anfing, nicht so bewusst war.
ASZ-Frage: Was waren Ihre erste Erfahrungen beim FCA?
Walther Seinsch: Es liegt auf der Hand, dass die Arbeit beim
FCA mit vielen Enttäuschungen, Frustrationen, mit Wut und Mordgedanken
einherging.
ASZ-Frage: Sie haben aber nicht aufgegeben und den
FCAugsburg in die Erste Bundesliga geführt.
Walther Seinsch: Meine frühe Erkenntnis war richtig: Wo ein
für die Bundesliga geeignetes Stadion steht, dort spielt früher oder später
auch ein Bundesligist.
ASZ-Frage: Nun steht sogar, auch durch Ihr Engagement, ein
neues Fußballstadion, die SGL-Arena, im Süden von Augsburg. Positive Erlebnisse
beim FCA?
Walther Seinsch: Der FCA hat viele Menacher glücklich
gemacht, Arme und Reiche, Rentner und Kinder, Familien, Rollifahrer, Blinde,
Frauen und Männer, Leute aus vielen Nationen, Gottlose, Muslime, Juden und
Christen. Ich habe viele wunderbare Briefe bekommen und nur ganz wenige
hässliche. Bis zu meinem letzten Atemzug werde ich viel Schönes aus meiner
FCA-Zeit nicht vergessen: Besäufnisse, gemeinsames Singen nach schrecklichen
Niederlagen, attraktive Damen, die mich angehimmelt haben ...
ASZ-Frage: Sie sind ja letztes Jahr als FCA-Vorstand
zurückgetreten. Der FCA stand ganz hoch in der Bundesliga, der Verein machte
zwei Millionen Gewinn, Wieso also Ihr Rücktritt?
Walther Seinsch: Ich bin doch ein alter Sack. Es gab keinen besseren Zeitpunkt für mich, mein
Amt niederzulegen. Außerdem muss ich an meine Gesundheit denken.
ASZ-Frage: Was sagen Sie zu dem Augsbürger an sich? Sie
wurden ja in Augsburg sogar als Stadtrat gewählt.
"Lernt Euch selber kennen"
Walther Seinsch: Das besondere an den bayerischen Schwaben
ist, dass die große Mehrzahl herzensgute und solidarische Menschen sind, dass
aber viele sich nicht für herzensgut und solidarisch halten. Ich kann nur dazu
raten Euch selber kennenzulernen!
ASZ-Frage: Wir Versuchens. Noch ein grundsätzliches Wort von
Ihnen zum Fußball?
Walther Seinsch: Kein Kind, das ab dem sechsten Lebensjahr
für zehn Jahre Mannschaftssport betreibt, wird beruflich oder persönlich
scheitern. Alles lernen die Kinder hier:Disziplin, Siege, Verlieren, Respekt,
der Starke beschützt den Schwachen.
ASZ-Frage: Sie beschreiben in Ihrem Buch "Verbrecherkartei"
als Nicht-Wissenschaftler die Welt der Wirtschaft, der Finanzen, der Politik
und der Geschichte. Das interessiert uns. Wie ist Ihre Meinung zur Finanz- und
Eurokrise?
"Kriminelle aus dem Finanzbereich werden uns begegnen"
Walther Seinsch: Wie jede große Krise hat auch diese, von
der USA ausgehende, etwas Gutes. Die meisten Schuldigen werden bestraft,
Gesetze werden geändert, nicht wenige Banker wandern in den Knast. Natürlich
ist damit nicht für alle Zeiten ausgeschlossen, dass sich große Betrügereien
ereignen. Kriminelle aus dem Finanzbereich werden uns auch in Zukunft begegnen.
Die internationale Steuerflucht wird ins Fadenkreuz der Staatsanwälte geraten.
ASZ-Frage: Sie schlagen ja in Ihrem Buch nicht schlecht auf
die sogenannten Wirtschaftsexperten ein.
Walther Seinsch: Keiner dieser Finanzexperten, Professoren
und Ökonomen hat diese Finanzkrise auch nur geahnt. Das gilt auch für viele
andere Krisen.
ASZ-Frage: Wie kam es dazu?
Walther Seinsch: Wir erlebten in den letzten fünf Jahren
eine groteske Ansammlung von Hysterie, Ignoranz, absurde Prognosen und
unverantwortliche Panikmache.
ASZ-Frage: Waren auch die Medien daran beteiligt?
Walther Seinsch: Hemmungslos wurden und werden Emotionen
geschürt, absurde Vergleiche mit 1929 gezogen, Lügen verbreitet und sinnvolle,
gemeinsame Entscheidungen der EU-Länder zur Bankenregulierung, zu schmerzvollen
Reformauflagen für die Problemländer negativ kommentiert.
ASZ-Frage: Die Bundeskanzlerin, Angela Merkel, wird aus dem
In- und Ausland heftigst kritisiert. Ist das in Ordnung?
"Habe Frauen in der Politik nichts zugetraut"
Walther Seinsch: Politiker-Bashing ist immer und überall
Marketing-Instrument Nr. Eins. Egal was Merkel macht, es ist immer falsch. Für mich
ist Angela Merkel eine Realpolitikerin
durch und durch. Ich war ja mal ein Gerhard-Schröder-Fan und habe in jenen
Jahren Frauen in der Politik nichts zugetraut. Die Politiker aus der DDR waren
mir suspekt. Aber Merkel hat alle Qualitäten, die man für den Job als
Bundeskanzlerin braucht: Keine Profilneurose, zurückhaltendes sachliches
Auftreten und Lernfähigkeit. Deutschland genießt durch sie weltweiten Respekt.
ASZ-Frage: Sie haben sich ja bei der Augsburger
Wählervereinigung Pro Augsburg als Politiker versucht und sind sogar 2008 Stadtrat
geworden. Aus gesundheitlichen Gründen haben Sie aber ihren Sitz als Stadtrat nach
einigen Monaten zurückgegeben. Wie stehen Sie zur Politik, zu den Politikern?
Walther Seinsch: Ich bin deutscher Patriot, begeisterter
Europäer und hoffnungsvoller Weltbürger und das bin ich aus emotionalen und aus
materiellen Gründen. Ich möchte, dass meine Kinder, Enkel und deren Nachkommen
ein gutes und sicheres Leben führen.
ASZ-Frage: Sie waren ja mal bei den Jusos, der voll linken
Jugendorganisation der SPD. Hat sich das auf Ihr Leben ausgewirkt?
Walther Seinsch: Als Kind kam ich zu den Pfadfindern, zu den
Wölflingen, der jüngsten Gruppe. Wir haben viele Fahrten mit dem Fahrrad
unternommen und saßen abends am Lagerfeuer zusammen. Durch einen Zufall kam ich
mit 15 zu den Jusos. Mein Freund behauptete, dort gäbe es Bier und Zigaretten gratis.
Pfadfinder und Jusos haben meine anderen Belastungen aufgehoben, und damit
verhindert, dass ich, wie zwei meiner Freunde, im Knast gelandet bin.
FCA-Krimi von Peter Garski: Rotgrünweiß macht heiß.
ASZ-Frage: Wie ist
ihre Meinung zur AfD, die gerade stark zunimmt?
Walther Seinsch: Die AfD hat zwei Ausrichtungen. Eine ist
ökonomisch geprägt und erwartet die Rückkehr zur Deutschen Mark. Die andere ist
nationalistisch und will die Stärken und Qualitäten der Deutschen nicht durch
andere Nationen konterkarieren lassen, um es höflich auszudrücken. Ich aber
meine zu Nationalismus: Ohne Nächstenliebe, ohne Hilfsbereitschaft, ohne
Verständnis für die Not meines Nachbarns und eben auch für die Not meines
Nachbarlandes bin ich kein Mensch. Ich hoffe nicht, dass sich die Neue Rechte
in Deutschland oder Europa durchsetzen kann.
ASZ-Frage: Herr Seinsch, was sagen Sie zur Abschaffung des Euros?
Walther Seinsch: Egoistisch, materiell und ökonomisch ist
die Abschaffung des Euro reiner Selbstmord. Die Globalisierung ist sowohl
politisch als auch materiell ein Segen und die große Chance der Menschheit, in
eine völlig neue Epoche ohne Kriege, ohne Hungersnöte, ohne aggressive
Religionen und ohne Atomwaffen zu gehen.
ASZ-Frage: Aktuell wird ja viel geredet, diskutiert,
gestritten und demonstriert wegen Islamismus, Christenverfolgung, dekadenten
Bischöfen und pädophilen Priestern. Haben Sie dazu auch eine Meinung? Wie ist
ihre Ansicht über Religion?
Walther Seinsch: Ich beneide jeden Menschen, der in seinem
Glauben fest verankert ist.
"In all seiner Schönheit"
ASZ-Frage: Sind Sie das auch?
Walther Seinsch: Ich kann meinen Glauben am besten erklären,
wenn ich Albert Einstein erwähne: Der Mensch ist ein Teil des Ganzen, das wir
Universum nennen, ein in Raum und Zeit begrenzter Teil. Unser Ziel muss es
sein, den Horizont unseres Mitgefühls zu erweitern, bis er alle lebenden Wesen
und die gesamte Natur in all seiner Schönheit umfasst.
ASZ-Frage: Das
könnte man auch auf die momentane Flüchtlings- und Asylanten-Debatte anwenden.
Welche konkreten Erlebnisse haben Sie mit der Religion, mit der Kirche?
Walther Seinsch:
Mit 14 bin ich getauft und dann konfirmiert worden und ich habe natürlich
nichts verstanden, was der Pfarrer uns zu vermitteln versuchte. Weder die Glaubenssprache
noch die Dogmen und die Gottes-Sohn-Schaft von Christus. Ich habe nur kurz an
meinem Verstand gezweifelt, bevor ich erkannte, dass diese Verneblungen das
Marketing-Konzept der Kirchen sind.
ASZ-Frage: Wie wirkt
die Kirche auf Sie? Was verurteilen Sie?
Walther Seinsch: Über die menschlichen Irrungen und Sünden
innerhalb der Kirche will ich nicht richten. Alle Menschen sind Sünder. Auch
nicht über die höfische Organisation der Kirchen, das unsägliche Verbot von Verhütungsmitteln
oder die Absurdität, dass Frauen nicht Priester sein dürfen – all dies beweist
nur, dass der Papst eben kein Stellvertreter Gottes sein kann. Moralisch extrem
verwerflich ist die Tatsache, dass große Teile der Priesterschaft im Dritten
Reich mit den Nazis gekungelt haben, nicht gegen die
Ausrottung der Juden aufgestanden
sind, oder den kommunistischen Terror wie in Jugoslawien begleitet haben.
ASZ-Frage: Sie sind irritiert, dass die christlichen Kirchen
das Alte und das Neue Testament zur Grundlage ihrer Religion machen. Hat das
einen Grund?
Walther Seinsch: Bei Samuel, zum Beispiel, steht im Alten
Testament: Ergieße deinen Zorn über die Völker, die dich nicht kennen und die
Reiche, die deinen Namen nicht anrufen. Töte Männer und Frauen, Kinder und
Säuglinge ....
ASZ-Frage: Welche Religion ist Ihrer Ansicht nach die beste?
Walther Seinsch: Hm, schwierig, der Islam hat ja das Wort Gottes, die Juden
sind ja das Volk Gottes, die Christen haben ja den Sohn Gottes. Welche Folgen das
hatte, hat und haben wird, das wissen wir. Kein Mensch und keine Institution
kann sich rühmen im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein. Über die
nicht-christlichen Religionen weiß ich nicht viel. Was ich so lese und höre,
macht mir keine Hoffnung auf eine gute Weltreligion.
"Folter und massenhafte Hinrichtungen"
ASZ-Frage: Hm, was hören und lesen Sie so?
Walther Seinsch: Naja, in der Welt der orthodoxen Rabbiner
sollen Frauen zu Hause bleiben und Kinder gebären. In Israel werden auch
Homosexuelle diskriminiert. Zum Islam erwähne ich die Iranerin und Trägerin des
Friedensnobelpreises, Shirin Ebadi, sie berichtet von Tausenden Verhafteten der
Protestbewegung, von Folter, massenhaften Hinrichtungen, Vergewaltigungen in
den Gefängnissen.
ASZ-Frage: Was sagen Sie zu der momentanen Aufregung um
Pegida und ihre Demos?
Walther Seinsch: Unwissenheit ist die Mutter des
Misstrauens, der Feindseligkeit und der Angst.
ASZ-Frage: Zum Schluss ihres neuen Buches
"Verbrecherkartei" zitieren sie auch den Augsburger Dichter Bert
Brecht. Was steckt dahinter?
Walther Seinsch: Sie müssen es lesen! In diesem berührenden Brecht-Gedicht über zwei dahinfliegende Kraniche, denen auch Regen und Schüsse drohen, geht es um die Liebe, die uns allen einen Halt geben kann.
Walther Seinsch: Sie müssen es lesen! In diesem berührenden Brecht-Gedicht über zwei dahinfliegende Kraniche, denen auch Regen und Schüsse drohen, geht es um die Liebe, die uns allen einen Halt geben kann.
ASZ-Frage: Haben Sie noch Pläne, Ideen?
"Was soll ich anziehen?"
Walther Seinsch (schmunzelt): Ja, ich überlege nun nach der
Veröffentlichung meines Buches, was ich zur Verleihung des
Literatur-Nobelpreises anziehen soll.
ASZ-Frage: Das
FCA-Trikot?
Walther Seinsch (wieder ernst): Ich werde ein Projekt unter
dem Titel "Weltbürger" starten. Für deutsche Patrioten, begeisterte
Europäer und hoffnungsvolle Weltbürger. Zunächst als Blog www.weltbuerger.de –
dabei positiv kritisch über Themen aus Politik und Wirtschaft und über unseren
nationalen Bauchnabel hinausschauen ... vielleicht wird später mal ein Buch
daraus?
ASZ-Frage: Och –nichts zum Thema Fußball?
Walther Seinsch: Unter der Rubrik
"Fußball-Fetischisten" werden wir natürlich im Blog
"Weltbürger" das drittwichtigste Thema unserer Welt kommentieren.
ASZ: Uff – da sind war aber froh. Walther Seinsch ohne
Fußball, das können wir uns in Augsburg nicht vorstellen.
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(Unser Sensations-Interview mit Walther Seinsch haben wir mithilfe
einiger seiner Aussagen im lesenswerten Buch "Verbrecherkartei"
zusammengebastelt.)
Walther Seinsch ging acht Jahre in die Schule, machte eine
Lehre im steuerberatenden Beruf, war Bauarbeiter, Fabrikarbeiter, Substitut,
Abteilungsleiter, Geschäftsführer und Minderheitengesellschafter der Firmen KiK
und Takko bis 1997. Gründer der Stiftung "Erinnerung" in Lindau, seit
dem Jahr 2000 Vorstandsvorsitzender des FC Augsburg.
- Das Buch "Verbrecherkartei", verfasst von Walther
Seinsch ist 2014 im Gerhard Hess Verlag erschienen, hat 235 Seiten und kostet
im Augsburger Buchhandel 18,90 Euro.